Hunger oder bloß Appetit? So bekommen Sie Ihr Essverhalten endlich in den Griff

Essen tröstet, motiviert, lenkt ab – und macht ein schlechtes Gewissen. FOCUS-Diabetes erklärt, wo die typischen Appetit-Fallen lauern und wie Betroffene lernen können, sich zu wehren.
Kühlschranktür auf: Was gibt es Leckeres? Wir haben schließlich Hunger! Oder doch nicht? Experten unterscheiden zwischen Hunger und Appetit. Das eine ist ein Muss, das andere ein Kann. Wir essen, weil wir Stress haben oder unglücklich sind, weil es in Gesellschaft so gut schmeckt oder weil der Hormonhaushalt es gern hätte. Das ist die Krux: Essen ist kein rationaler Vorgang, sondern ein emotionaler.
Das Bedürfnis nach Essen entsteht im Hirn. Der Hypothalamus entscheidet über das Verlangen nach Nahrung. Er ist die Steuerzentrale des vegetativen Nervensystems und trifft aus unterschiedlichsten Gründen die Entscheidung, dass es mal wieder an der Zeit wäre, den Magen zu füllen. „Dabei hat die Wissenschaft noch nicht endgültig erforscht, wie das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Verdauungsapparat genau abläuft“, erläutert Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst aus Wedel bei Hamburg. Neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung zufolge werde das Essverhalten emotional gesteuert. Das Bewusstsein bleibe außen vor. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um gegen Gelüste anzukämpfen.
Sinkt der Blutzuckerspiegel, signalisiert das Gehirn: nachfüllen!
Einige Mechanismen unseres Essprogramms sind jedoch mittlerweile entschlüsselt. Zum einen hält sich der Hypothalamus an bestimmte Messwerte: Rezeptoren in Leber und Magen funken permanent den Stand des Blutzuckers an die Leitzentrale. Sinkt er ab, gibt das Hirn den Befehl: nachfüllen! Zudem hat die Schaltstelle im Gehirn den Überblick über die Menge des Hormons Leptin. Es wird in Fettzellen produziert, und je mehr davon sich im Blut befindet, desto weniger treten Hungergefühle auf. Theoretisch jedenfalls.
Bei Übergewichtigen ist dieser Mechanismus außer Kraft gesetzt. Sie gelüstet es nach Essen, obwohl sie große Mengen Leptin im Blut haben. Ärzte am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) für Adipositas der Universität Leipzig untersuchten Übergewichtige in MRT- und PET-Scannern und stellten fest: Das Belohnungssystem in ihrem Gehirn reagiert nur noch auf starke Reize – ähnlich wie das Suchtkranker. Um sich zufrieden zu fühlen, müssen sie größere Mengen zu sich nehmen als Normalgewichtige.

Essen lenkt von Problemen ab
Und noch etwas kannten die Ärzte aus der Suchtforschung. Die Hirne der Betroffenen haben das Planen verlernt, sie handeln impulsiv. Besonders Frauen haben wenig Kontrolle über sich. Für Psychologin Julia Scharnhorst keine Überraschung. „In einer schwierigen Situation ist es einfacher, etwas zu essen als das Problem zu lösen oder sich mit unangenehmen Gefühlen zu plagen“, konstatiert sie. „Essen stillt ein Grundbedürfnis und lenkt ab.“
Der Mechanismus kommt früh in Gang. Schon weinende Säuglinge werden mit Nahrung getröstet. „Das Gehirn verknüpft Essen mit Trost und Beruhigung und aktiviert bei der Nahrungsaufnahme das Belohnungszentrum“, erklärt die Expertin.

Sich in Griff zu haben ist auch eine Art Genuss
Diabetiker haben es in Sachen Nahrungsmanagement besonders schwer: „Wegen der bestehenden Stoffwechselstörung ist das System noch komplizierter und störanfälliger“, weiß die Diplompsychologin. „Und je mehr das Essverhalten in strengen Bahnen verlaufen muss, desto eher neigen wir dazu, über die Stränge zu schlagen.“ Das erklärt, weshalb Körper und Psyche nach einer Weile automatisch gegen Nahrungspläne rebellieren.
Leichter wird kontrolliertes Essen, wenn man die Mechanismen durchschaut. So wie der Filmemacher Thomas Baron. Der Typ-1-Diabetiker hegt eine ausgeprägte Leidenschaft für Schokolade. Seine süße Versuchung hat der 45-Jährige klar analysiert. „Wenn mir beim Arbeiten nichts einfällt oder ich an einer schwierigen Aufgabe sitze, esse ich Schokolade.“ Seit der gebürtige Schlesier sich das bewusst gemacht hat, kann er seinen Genuss steuern. Eine Schokotafel pro Woche gönnt er sich. Und zwar die beste, mit mindestens 80 Prozent Kakaoanteil. „Es ist ein gutes Gefühl, sich selbst im Griff zu haben“, sagt Thomas Baron zufrieden. „Das ist definitiv auch eine Art von Genuss.“

Quelle: FOCUS Online

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